"Die Cordobar hat einen tiefen Platz im Herzen vieler deutscher Fußballfans. Die WM 1978, die für manch einen in der Trauer endete, bleibt bis heute schmerzhaft in Erinnerung. Wenn ein Österreicher in Berlin weint und dieses Ereignis zur Sprache kommt, kann man sich sicher sein, dass dieser Schmerz erneut befeuert wird. Dazu muss man nur die Herrentoilette aufsuchen, die in einer Endlosschleife mit der originalen Moderation des Spiels vom ORF beschallt wird. Ich selbst bin zwar kein leidenschaftlicher Fußballfan und die deutsche-österreichische Rivalität ist mir ebenfalls fremd. Dennoch schätze ich den Humor hier, ebenso wie die Kraniche oder die Möpse an der Wand.
Heute gehört die Cordobar zu den bekanntesten Weinbars in Deutschland, was sicherlich auch mit den Betreibern zusammenhängt. Gerhard Retter ist vielen aus der Fernsehsendung „Grill den Henssler“ bekannt. Er hat sich in der Gastronomie einen Namen gemacht, nachdem er in dem legendären „Aubergine“ von Eckart Witzigmann, später bei Freddy Giradet, Gordon Ramsay und im „Lorenz Adlon“ in Berlin tätig war. Seit 2013 arbeitet er mit Christianoph Ellinghaus, Musiklabel-Chef, und Jan-Ole Gerster, Filmregisseur und Drehbuchautor, zusammen.
Es ist uns klar, dass die Cordobar mehr ein Ort für Wein als für exquisites Essen ist, und das ist an diesem Tag besonders passend, da wir bereits ein umfangreiches Mittagessen genossen haben. Wir kommen zwar nicht ohne Erwartungen, aber auch die vorherige Reputation der Betreiber beeinflusst unser Bild. Bis Anfang 2017 leitete Lukas Mraz die Küche; er war zuvor im Restaurant „Meadow“ mit 2 Sternen ausgezeichnet. Heute hat die Box, in der das Essen serviert wurde, einen Ehrenplatz an der Wand hinter der Theke. In der Aufschrift steht: „R.I.P.“, wie gesagt: Ich mag diesen Humor. Mraz wurde von dem Niederländer Waalstammeberg abgelöst, der sieben Jahre im 3-Sterne-Restaurant „De Librije“ bei Jonnie Boer gearbeitet hat.
Die Karte bietet kleinere Gerichte (3-5 €) und ein paar größere (ca. 11-19 €), die zum Teilen gedacht sind. Man bestellt einfach etwas und kann später noch nachbestellen. Das ist sehr unkompliziert. Zum Auftakt wählen wir unter anderem einen „Kalk Kiesel“ von Claus Preisinger und bestellen dazu hervorragendes Brot mit einer lockeren, mit Yuzu aromatisierten Butter. Dazu gibt es Kohji gefüllt mit Schinken und mit Kamille bestäubt. Das schmeckt scharf, aber etwas undefinierbar. Der Schinken ist nicht explizit deklariert. Das Brot ist knusprig und mit Tomatenpulver versehen. Die Parmesancreme zum Dippen ist ziemlich kräftig, aber zusammen schmeckt es sehr gut.
Aus der umfangreichen Weinkarte mit Schwerpunkten in Deutschland und Österreich wählen wir einen Wein aus Südafrika, einen Chenin Blanc von Luddite. Die Karte ist reichhaltig, aber in den unteren und mittleren Preissegmenten findet man meist überwiegend einfachere Weine, und wenn man etwas Anspruchsvolleres möchte, ist man schnell in der Preiskategorie von 60 Euro. Das schränkt den Genuss etwas ein. Der 2015er Chenin Blanc von Luddite erweist sich als sehr delikat, das Fleisch ist zart und die Marinade mit Nüssen ist köstlich. Separat gibt es einen ebenso schmackhaften Spinatsalat.
Nach einer kurzen Pause bestellen wir die Mungobohnen-Krapfen mit Kartoffeldressing von den Snacks. Diese sind ähnlich wie Falafel und besitzen eine gute Schärfe. Mungobohnenknacken und Kartoffelchutney folgen auf den nächsten Gang, der jedoch recht enttäuschend ist. Sepia wird mit Chicorée und einem geheimnisvollen Dressing angekündigt, aber auch mit Anis und Estragon. Beides ist deutlich herauszuschmecken, und der Chicorée ist gut erkennbar. Zunächst halte ich die Anordnung der Salatblätter für einen Sepiatuben; es sieht täuschend aus. Am Ende handelt es sich jedoch nur um einen kleinen Blattsalat – und keinen tintenfischartigen Fisch. Verwirrt frage ich nach. Die Bedienung ist so freundlich, mir die Sepia zu zeigen. Sie ist so fein geschnitten, dass man sie kaum mit dem Auge erkennen und nicht wirklich schmecken kann. Ein klassischer Fall von Nebel, wenn man ein warmes Gericht und einen tintenfischartigen Fisch erwartet, der zumindest als solcher erkennbar ist.
Trotz der kleinen Mängel bleibt der Appetit weitgehend ungestört, aber die Lust auf etwas Süßes bleibt bestehen. Zum Obstbrand können wir eine Tafel aus der wunderbaren steirischen Schokoladenfabrik Zotter probieren, die hier in einer Sonderedition für die Cordobar mit dem Namen „Restalcohol“ produziert wird. Der Name spielt einerseits auf die weinhaltige Füllung an, aber auch auf das Motto, das in Neon an der Wand steht: „Restalcohol ist eine mächtige Droge“. Zotter Schokolade Rest-Alkohol.
Es war ein schöner Abend in der Cordobar. Die Atmosphäre ist ungezwungen, das Publikum international, die Bedienung freundlich und hilfsbereit. Das Essen ist für eine Weinbar in Ordnung, aber nicht weltbewegend. Die Hauptrolle spielt hier die Definition des Weins. Es ist jedoch recht teuer. Das muss auch so sein, wenn einige Menschen in dieser Bar nahe den Hackeschen Höfen etwas verdienen wollen. Es scheint genug zahlungswilliges Publikum zu geben, das bereit ist, diese Preise zu zahlen. Wenn ich wieder bereit bin, überlege ich es mir. Aber vielleicht ist das die Antwort. Wie immer auf meinem Blog unter: [versteckter Link]"