"Paul in Sitzerath steht seit Generationen für gutes Essen. Eine Vielzahl von inzwischen erwachsenen Zeitgenossen pilgerte einst in das kleine Dorf hoch im Landkreis St. Wendel in der Gemeinde Nonnweiler. Damals war die Mutter des heutigen Betreibers Thomas Nickels noch in der Küche und machte das Dorfgasthaus zum Eldorado für Schnitzel- und Salatliebhaber. Zwischen dieser Beschreibung und meinem letzten Besuch liegen mehr als zwanzig Jahre. Eines ist jedoch gleich geblieben: die Liebe zu gut gemachten Produkten und deren Verfeinerung zu grandiosen Gerichten. Heute stammen die Zutaten entweder aus einem der Hausgärten, die über das Dorf verteilt sind und die auf Initiative der Bio-Spitzenköchin Sigrune Essenpreis vor der Überbauung gerettet wurden (der Name ist Programm!), oder aus Biobetrieben hauptsächlich aus der Umgebung. Nicht nur die Betreiber, Thomas Nickels und seine Frau Sigrune Essenpreis, haben sich dem qualitätsbewussten Kochen verschrieben. Was auf der Speisekarte des Restaurants damals wie heute angeboten wird, hebt sich deutlich von dem gastronomischen Angebot in der gesamten Region ab. Wo gibt es sonst eine ganze Artischocke mit Himbeer-Essig, roten Zwiebeln in Vinaigrette und einem Salat aus drei Sorten weißen Bohnen? Selbst die Gabelspaghetti mit gegrillten gelben und grünen Zucchini sowie Patissons, getrockneten Tomaten, Zitrone, Kapern und Olivenöl, serviert mit einer eingelegten Saibling, sucht man vergebens. Oder wie bei unserem letzten Besuch eine Tomatenessenz, wobei der Begriff Suppe nicht einmal ansatzweise die Intensität dieses Gerichts beschreiben kann – ein kulinarisches Bewusstsein, das dem Gast ein glückliches Lächeln ins Gesicht zaubert. Die Botschaft ist ebenso einfach wie klar: Gutes Essen benötigt gute und ehrlich produzierte Grundprodukte, Wissen über deren Wirkung und eine Zubereitung, die auf das Produkt fokussiert ist und dessen Einzigartigkeit hervorhebt. Die Speisekarte im Agriturismo Paul ist eine klare Ansage gegen den Zeitgeist, gegen den Burgerwahn und eine schon seltsam anmutende kulinarische Einheitsküche, die immer wieder neue Stilblüten treibt. Das Konzept, das mit seiner kompromisslosen Handschrift immer mehr Gäste anzieht (ehemalige Ruhetage des Restaurants mussten aufgrund der gestiegenen Nachfrage aufgehoben werden), liest sich wie eine Reflexion über längst vergessene Tugenden. Der Sauerbraten, der auch bei unserem letzten Besuch 14 Tage mariniert und im Steinofen zubereitet wurde, weckt Kindheitserinnerungen. Die dazugehörigen Knödel und das Apfelrotkraut sind so profan göttlich, dass man ernsthaft darüber nachdenkt, warum man für so etwas überhaupt in ein Restaurant gehen muss. Vielleicht ist es diese Sehnsucht in einer Zeit, in der sich kaum jemand viel Zeit für sich und seine seelenheilende Muße nehmen kann, die den Erfolg des Agriturismo Paul ausmacht. Und vielleicht spüren die Gäste das bei ihren Gastgebern! Dass sie ihr Brot selbst backen, ihre Essige eigenhändig ansetzen, Gemüse und Kraut, wenn irgendwie möglich, in den Hausgärten in Sitzerath anbauen – all das sind keine Zufälle, sondern Ausdruck einer konsequenten Haltung! Dass der Aufwand nicht zu Schnäppchenpreisen erhältlich ist, tut mir persönlich überhaupt keinen Abbruch. Für den Sauerbraten werden faire 22,50 Euro verlangt, und die Tomatenessenz kostet 10 Euro. Der Blumenkohl-Flan mit Haselnusskruste meiner Begleitung, in dieser Variation mit marinierten Saubohnen und Radieschen serviert, schlägt mit 13,50 Euro zu Buche. Das Hohenloher Lamm mit Gewürz-Couscous und Mangoldgemüse, eine wahrhaft grandiose Kombination, wird den Gästen für 27,50 Euro angeboten."